Wenn sich Menschen über Online Dating unterhalten, wird häufig der Vergleich gezogen zwischen dem Internet und dem “echten Leben”. Alles, was online passiert, ist demnach nicht “echt”, sondern findet in einer Art virtuellen Parallelwelt statt. Und dabei halten wir uns tagtäglich stundenlang im Internet auf. Ist Online Dating also kein echtes Leben?
Definitionsfragen
Im Sat.1 Frühstücksfernsehen lief neulich wieder ein Beitrag zum Thema Dating mit Fragen zu den Herausforderungen, die es dabei gibt und warum Menschen ghosten usw. Der Moderator zog hierbei immer wieder die Formulierung heran, dass beim Dating ein Unterschied bestehe zwischen Apps und dem persönlichen Kennenlernen in einer Bar oder bei einer Party. Letzteres wäre das echte Leben. Tindern dann wohl nicht…?
Online Dating wird definiert als “internetgestützte Form der Partnersuche über spezielle Websites und/oder Applikationen für Smartphone-Betriebssysteme” (Aretz, Gansen-Ammann, Mierke & Musiol, 2017).
Anhand dieser Definition wird deutlich, dass eigentlich nur der Modus ein anderer ist, nicht aber die Partner*innensuche selbst. Wer Apps wie Bumble, Tinder oder Taimi verwendet, ändert hauptsächlich den Ort des Geschehens – wir sind uns aber vermutlich alle darüber einig, dass wir keine Avatare daten, sondern am Ende trotzdem echte Menschen treffen und kennenlernen wollen.
Gefahren der Trennung von Realität und Internet
Christa Goede schreibt in ihrem Artikel “Realität vs. Internet” vom WWW als “fester Bestandteil unseres Alltags, der nie wieder weggehen wird”. Aus ihrer Sicht ist die Trennung von Realität und Internet eine große Gefahr, die Hass und Hetze Tür und Tor öffnet. Menschen tun sich leichter damit, andere zu beleidigen, wenn sie ihr Gegenüber als “nicht real” ansehen. Auf Social Media beobachten wir leider sehr häufig entsprechende Hasskommentare oder Cybermobbing. Ein Phänomen, das auch innerhalb von Dating Apps immer wieder vorkommt. Beleidigungen sind Straftaten und generell einfach kein Umgang, dem man sich hingeben sollte – egal ob face to face oder per direct message.
Auch wenn Fotos häufig manipuliert werden und Menschen auf Instagram beispielsweise erwiesenermaßen mehr ein Idealbild präsentieren als alle Aspekte der Realität, ändert es nichts daran, dass die Person auf der anderen Seite ein reales Wesen ist. Das Smartphone in der Hand mag uns nicht dasselbe Gefühl vermitteln wie ein Gesprächssetting, bei dem alle Personen vor Ort anwesend sind. Beides ist jedoch durchaus real.
Dinge, die wir online an andere Menschen schicken, erreichen diese auch. Sie können echte Gefühle auslösen. Sie können in persönliche Begegnungen münden. Sie sind für viele die Grundlage geworden, um Partner*innen kennenzulernen.
Passende Begriffe und Fazit
Anstatt vom “echten Leben” zu sprechen und eine scharfe Trennung von Apps vorzunehmen, können wir vielleicht auf andere Begriffe zurückgreifen. Ich benutze in meinen Sitzungen gern die Bezeichnung “Dating vor Ort” oder beschreibe die Situationen: Statt “Sie haben sich dann also im echten Leben getroffen?”, würde ich sagen “Sie haben sich dann also persönlich getroffen?”. Menschen daten online nicht weniger echt. Es sollte immer klar sein, dass wir Menschlichkeit nicht ablegen dürfen, nur weil wir über eine App oder Website kommunizieren.
Quellen
- „Date me if you can“ (Aretz, Gansen-Ammann, Mierke & Musiol, 2017)
- https://www.christagoede.de/realitaet-vs-internet/ (“Realität vs. Internet”, Christa Goede, 2015)
- „Social media is not real“ (Tiggemann & Anderberg, 2020)
- Hate language rises online in Germany: Study (2024)
- Social media and online hate (Walther, 2022)